April 2, 1990
Assessment by the Austrian Foreign Ministry, 'German Unity, State of affairs in April 1990'
Deutsche Einheit, Stand April 1990
I. Innerdeutsche Aspekte
1) Wirtschafts- und Währungsunion
Das Ergebnis der DDR-Wahlen am 18. März[1] kann als Befürwortung einer baldigen Einigung Deutschlands gewertet werden. Gespräche über die Herstellung der Wirtschafts- und Währungsunion haben begonnen. (Ein erster BRD-Vorschlag: Währungsumtausch l DM (West) = 2 DM (Ost) stößt dzt. in der DDR auf Ablehnung.)[2] Die ersten rechtlichen Schritte sollen möglichst ab Mai d.J. gesetzt und die Währungsunion möglichst ab August effektiv werden.
Andererseits drängen einzelne EG-Staaten, insbesondere Frankreich, angesichts dieser bevorstehenden Verbindung der beiden deutschen Staaten auf eine Beschleunigung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Für die BRD stellt sich die Frage inwieweit die gleichzeitige Verwirklichung dieser Ziele möglich ist.
2) Rechtliche Aspekte der deutschen Einheit
Hiefür bestehen gemäß dem Bonner Grundgesetz zwei Möglichkeiten: Art. 23 (Beitritt der DDR oder der wiederhergestellten ehemaligen Länder auf deren Gebiet zum Geltungsbereich des GG) oder Artikel 146 (Inkrafttreten einer neuen Verfassung Gesamtdeutschlands, d.h. Entstehung eines neuen Völkerrechtssubjekts). Bei letzterer Variante bestünde allerdings die Problematik, daß sämtliche internationalen Verträge der BRD neu verhandelt oder zumindest neu in Kraft gesetzt werden müßten.
Unklar ist auch noch der völkerrechtliche Rahmen der deutschen Einigung. Die BRD lehnt den Abschluß eines formellen Friedensvertrages ab (Deutschland würde fast 5 Jahrzehnte nach Kriegsschluß mit dem Stigma des Besiegten behaftet; theoretisches Problem von Reparationszahlungen). Zur Diskussion stehen dzt. eine Erklärung der 4 Alliierten über die Beendigung ihrer Rechte im Verhältnis zu Gesamtdeutschland oder eine Regelung im KSZE-Rahmen.
3) Umsiedlerstrom
Das Wahlergebnis in der DDR und die Aussichten auf eine baldige wirtschaftliche Verbindung mit der BRD hat den Umsiedlerstrom aus der DDR stark zurückgehen lassen (von bisher 2000 täglich auf dzt. ca. 1000).
II. Äußere Aspekte
1) Vier-Mächte-Verantwortung
Die am 13. Februar in Ottawa vereinbarten „2+4“-Verhandlungen über „äußere Aspekte“ der deutschen Einheit wurden am 14. März 1990 in Bonn auf Beamtenebene begonnen.[3] Hiebei wurden prozedurale Fragen erörtert und folgender Themenkatalog festgelegt (nachträgliche Erweiterung möglich): Grenzfragen, politisch-militärische Fragen, Berlin-Frage, Rechte und Verantwortungen der 4 Alliierten. Das nächste Treffen auf Beamtenebene soll nach Bildung der neuen Regierung in Ost-Berlin stattfinden.[4] Das erste Treffen auf Ebene der Außenminister ist für die zweite Aprilhälfte geplant.[5]
Die „2+4“-Verhandlungen sollen möglichst bis Herbst d.J. beendet sein, um ihr Ergebnis dem geplanten KSZE-Gipfeltreffen vorzulegen.
2) Politisch-militärische Fragen
Im Westen besteht grundsätzliche Einigung darüber, daß der Wirkungsbereich der NATO nicht auf das dzt. DDR-Territorium ausgedehnt werden soll (z. B. keine Stationierung von NATO-Verbänden). Die BRD hat sich auch mit einer temporären Stationierung sowjetischer Verbände auf DDR-Gebiet einverstanden erklärt.
Im Westen besteht auch Einvernehmen darüber, daß eine Umwandlung derzeitiger NATO-Funktionen in Abrüstungs-, Verifizierungs- und Stabilisierungsaufgaben notwendig erscheint (Einleitung erster Schritte bei der kommenden NATO-Ratstagung?).[6] Die Mitgliedschaft Deutschlands in der EG steht außer Frage. Ob die Verwirklichung der deutschen Einheit auf das Momentum bei der Vertiefung der Integration hemmend wirkt, bleibt abzuwarten.
3) Frage der polnischen Westgrenze
Polen fordert eine definitive Anerkennung der Oder-Neisse-Grenze. Angesichts der eindeutigen Unterstützung des polnischen Standpunktes durch die 4 Alliierten (insbesondere Frankreich) sowie innenpolitischen Druckes hat BK Kohl seine bisherige Haltung (Anerkennung erst durch Gesamtdeutschland) modifiziert. Der Bonner Bundestag hat am 8. März 1990 einen Entschließungsantrag verabschiedet,[7] wonach das BRD- und das DDR-Parlament (nach Bildung der DDR-Regierung) gleichlautende Erklärungen betreffend eine Garantie der polnischen Westgrenze abgeben sollen.[8] Die Grenzgarantie soll dann durch einen Vertrag zwischen dem vereinigten Deutschland und Polen bekräftigt werden. Polen hat den Text dieser Erklärung als unbefriedigend bezeichnet, da er die polnische Westgrenze geographisch nicht definiert. Polen wünscht die Ausarbeitung und Paraphierung eines Grenzgarantievertrages mit den beiden deutschen Staaten und dessen Ratifizierung durch Gesamtdeutschland.
Polen wird betreffend Grenzfragen auch den „2+4“-Verhandlungen beigezogen werden.
4) Die Berlin-Frage
Die. Aufhebung des 4-Mächteabkommens könnte durch eine gemeinsame politische Erklärung der 4 Mächte erfolgen.
5) Haltung der westeuropäischen Staaten
Durch Modifizierung der ursprünglichen Haltung (Flexibilität in der Grenzfrage, Beiziehung Polens zu „2+4“ bei diesem Problem) und intensive Informationstätigkeit der BRD-Regierung (über 20 Kontakte BK Kohls auf höchster Ebene seit Jahresbeginn) konnte die zeitweilige Irritation, insbesondere Frankreichs und Großbritanniens, überwunden werden.[9]
III. Äußerungen der BRD-Regierung zu möglichem Zeitrahmen
Währungsunion bis Mitte 1990. Abschluß der „2+4“-Treffen bis Herbst 1990. Vorlage des Ergebnisses bei KSZE-Sondergipfel etwa im November 1990. Gesamtdeutsche Wahlen in der 2. Hälfte 1991. Rechtliche Integration Gesamtdeutschlands in EG bis Ende 1992. Übersiedlung nach Berlin in Etappen (zuerst Bundespräsident; vorerst nur einzelne Regierungssitzungen in Berlin).
Plattner m.p.[10]
[1] Bei einer Wahlbeteiligung von 93,38% entfielen 48% der Stimmen auf die Allianz für Deutschland (DA; DSU; CDU), 21,8% auf die SPD, 16,4% auf die PDS, 5,3% auf den Bund Freier Demokraten (LDO; FDP, DFP), 2,9% auf das Bündnis 90, 2,2% auf die DBD, 1,9% auf Grüne-UFV, 0,4% auf die NDPD und 0,3% auf den Demokratischen Frauenbund.
[2] Zu den Diskussionen und Verhandlungen über eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion siehe Dieter Grosser, Das Wagnis der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Politische Zwänge im Konflikt mit ökonomischen Regeln, Geschichte der Deutschen Einheit, Band 2, (Stuttgart: Dt. Verlags-Anstalt, 1998), 209–276, insbesondere 245–252.
[3] Erste Gesprächsrunde Zwei plus Vier auf Beamtenebene, Bonn, 14. März 1990 (=Dokument Nr. 220), in: Hanns Jürgen Küsters/Daniel Hofmann (Bearb.), Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90 (München: Oldenbourg, 1998), 950–952.
[4] (=Dokument Nr. 264), in: Hanns Jürgen Küsters/Daniel Hofmann (Bearb.), Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90 (München: Oldenbourg, 1998), 1074–1076.
[5] Das Treffen fand schließlich am 5. Mai 1990 in Bonn statt. (=Dokument Nr. 268), in: Hanns Jürgen Küsters/Daniel Hofmann (Bearb.), Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90 (München: Oldenbourg, 1998),1090–1094.
[6] Am 7. und 8. Juni 1990 fand in Turnberry/Großbritannien eine NATO-Ratstagung statt.
[7] Deutscher Bundestag. Stenografischer Bericht 200. Sitzung, Bonn, 8. März 1990, 15405–15429.
[8] Die gemeinsame Erklärung vom 21. Juni 1990 ist abgedruckt in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (ed.), Texte zur Deutschlandpolitik, Reihe III/Bd. 8a, 411–412. Zum deutsch-polnischen „Grenzstreit“ vgl. auch Andreas Rödder, Deutschland einig Vaterland. Die Geschichte der Wiedervereinigung, (München: Beck, 2009), 235–244.
[9] Handschriftliche Randnotiz am Dokument: „inzwischen auch deutsch-französische Initiative: Politische Union + EWW-Union parallel“. Am 18. April 1990 wandten sich Mitterrand und Kohl gemeinsamen in einem Brief an den amtierenden Präsidenten des Europäischen Rates, den irischen Premierminister Charles Haughey, mit dem Ersuchen zusätzlich zum Dubliner Sondergipfel über die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) einen weiteren Gipfel betreffend die „Politische Union“ einzuberufen. Vgl. Europa-Archiv 1990, D 283.
[10] Johann Plattner (geb. 1932), Leiter der Abteilung II/1 (West- und Nordeuropa) der Sektion II im österreichischen Außenministerium (1987–1993).
German Unity, State of affairs in April 1990
I. Inner-German aspects
1) Economic and Monetary Union
The result of the GDR elections on 18 March[1] can be seen as an endorsement of a quick German unification. Talks about establishing economic and monetary union have started. (A first FRG proposal: Currency Exchange l DM (West) = 2 DM (East) is momentarily facing rejection in the GDR.)[2] The first legal steps should be taken in May on and Monetary union should into effect in August if procurable.
In the face of this imminent connection of the two German states, individual EC countries, in particular France, are pushing for an acceleration of European economic and monetary union. For the Federal Republic of Germany, the question arises to what extent the simultaneous realization of these goals is possible.
2) Legal Aspects of German Unity
In accordance with Bonn’s Basic Law there are two possible ways: Art. 23 (accession of the GDR or the restored former countries whose territory becomes part of the scope of Basic Law) or Article 146 (the coming into effect of a new constitution for all of Germany, that would mean the creation of a new subject in international law). In the latter variant, however, there would be the problem that all the international treaties of the Federal Republic of Germany would have to be renegotiated, or at least re-enacted.
Still unclear is the international legal framework for German unification. The FRG rejects the conclusion of a formal peace treaty (almost 5 decades after the end of the war Germany would be tainted with the stigma of the defeated; theoretical problem of reparations). The discussion at this time concerns a declaration of the 4 Allies on the termination of their rights in relation to the whole of Germany, or a solution within the CSCE framework.
3) Flow of Migrants
The election results in the GDR and the prospects of a speedy economic union with the FRG has sharply reduced the flow of migrants from the GDR (from 2000 daily to approx. 1000 now).
II. External Aspects
1) Responsibility of the Four Powers
The “2+4” negotiations on “external aspects” of German Unity, which were agreed upon in Ottawa on 13 February, started on 14 March 1990 in Bonn at the level of officials.[3] Procedural issues were discussed and the following list of topics was set (subsequent extension possible): border issues, political-military affairs, Berlin Question, rights and responsibilities of the 4 Allies. The next meeting at the level of officials is to be held in East Berlin after the forming of a new government.[4] The first meeting at foreign minister level is scheduled for the second half of April.[5]
The “2+4” negotiations should as possible be completed by autumn at the latest in order to submit their results to the planned CSCE Summit.
2) Political-Military Affairs
In the West, there is general agreement that NATO jurisdiction should not be extended into GDR territory (for example: no deployment of NATO units). The FRG has agreed to a temporary stationing of Soviet units on GDR territory.
In the West, there is also agreement that a transformation of NATO’s current role in disarmament, verification and stabilization tasks, seems necessary (introduction of first steps at the upcoming NATO Council?)[6] The membership of Germany in the EC is not to be questioned. It remains to be seen whether the realization of German unification will inhibit the momentum in deepening integration.
3) The Question of the Polish Western Border
Poland demands a definitive recognition of the Oder-Neisse border. Given the distinct support of the Polish position by the 4 Allies (especially France) and domestic pressure, Chancellor Kohl has modified his previous position (recognition only by a united Germany). The Bonn Bundestag adopted a resolution on 8 March 1990,[7] whereby the FRG and the GDR parliaments (after formation of the GDR government) should issue identical statements regarding a guarantee of the Polish western border.[8] The border guarantee should then be confirmed by a contract between the united Germany and Poland. Poland qualified the text of this statement as unsatisfactory, because it does not geographically define Poland’s western border. Poland wants to draft and initial a border guarantee treaty with the two German states and its ratification by a united Germany.
Concerning border issues, Poland will be involved in the “2+4” negotiations.
4) The Berlin Question
The cancelation of the Four Power Agreement could result from a joint political declaration of the Four Powers.
5) Position of the West European countries
By modifying their original position (flexibility in the border issue, the involvement of Poland in “2+4” on this issue) and intensive information activities of the FRG government (more than 20 contacts at the highest level by Chancellor Kohl since the beginning of the year) the temporary irritation, especially in France and Britain, has been overcome.[9]
III. Statements of the FRG government on a possible Time Frame
Monetary union until mid-1990. Completion of the “2+4” meetings until autumn 1990. Presentation of the results at the CSCE summit around November 1990. All-German elections in the second half of 1991. Legal integration of unified Germany in the EC until the end of 1992. Relocation to Berlin in stages (first the Federal President; initially only occasional government meetings in Berlin).
Plattner m.p.[10]
[1] With a turnout of 93.38%, 48% of the votes went to the Allianz für Deutschland [Alliance for Germany] (DA, DSU, CDU), 21.8% to the SPD, 16.4% to the PDS, 5.3% to the Confederation of Free Democrats (LDO, FDP, DFP), 2.9% to the Bündnis 90, 2.2% to the DBD, 1.9% to the Grüne-UFV, 0.4% to the NDPD and 0.3% to the Demokratischen Frauenbund [Democratic Women’s Federation].
[2] On the discussions and negotiations about the Monetary, Economic, and Social Union, see Dieter Grosser, Das Wagnis der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Politische Zwänge im Konflikt mit ökonomischen Regeln [= The Venture of Monetary, Economic and Social Union. Political Constraints in Conflict with Economic Rules] (Stuttgart: Dt. Verlags-Anstalt, 1998), 209–276, in particular 245–252.
[3] The first Two Plus Four meeting at the level of officials convened in Bonn on 14 March 1990, see document 220 in Deutsche Einheit, 950–952.
[4] The second Two Plus Four meeting at the level of officials took place in East Berlin on 30 April 1990, see document 264, in Deutsche Einheit, 1074–1076.
[5] The meeting finally took place in Bonn on 5 May 1990, see document 268 in Deutsche Einheit, 1090–1094.
[6] The Ministerial Meeting of the North Atlantic Council was held in 7/8 June 1990 in Turnberry, United Kingdom.
[7] Deutscher Bundestag. Stenografischer Bericht 200. Sitzung, Bonn, 8 March 1990, 15405–15429.
[8] For the joint declaration of 21 June 1990, see Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen [= Federal Ministry of Intra-German Relations] (ed.), Texte zur Deutschlandpolitik [= Texts on Germany policy], Series III/Bd. 8a, 411–412. On the German-Polish “border dispute,” see Andreas Rödder, Deutschland einig Vaterland. Die Geschichte der Wiedervereinigung [= Germany united Fatherland. The history of reunification] (Munich: Beck, 2009), 235–244.
[9] Handwritten marginalia on the document, “meanwhile also a Franco-German initiative: Political Union + EMU-Union parallel.” On 18 April 1990, in a common letter, Mitterrand and Kohl addressed the current president of the European Council, the Irish Prime Minister Charles Haughey, requesting in addition to the Dublin Council meeting on Economic and Monetary Union (EMU) to convene a further summit concerning “Political Union,” see Europa-Archiv 1990, D 283.
[10] Johann Plattner Head of the Department for Western and Northern Europe of the Political Section of the Austrian Foreign Ministry (1987–1993).
The document is an updated assessment of German reunification from the Austrian foreign ministry. The assessment begins with addressing three areas which include integrating economic and monetary systems, unifying under current legal framework, and the drop in GDR emigration after the 1990 elections. The next portion focuses on external relations including the new Four Power responsibilities, European political-military affairs, Poland's Western Border, the eradication of the Berlin agreement, and Western European countries influence specifically on intelligence activities. The final part solely concerns Western Germany's projected timeline for total reunification.
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- Berlin (Germany)--International status
- North Atlantic Treaty Organization--Military policy
- German reunification question (1949-1990)
- Europe--Economic integration
- Germany--History--Unification, 1990
- Four Power Agreement on Berlin (1971)
- Germany (West)--Military policy
- Germany (East)--Emigration and immigration
- Austria--Foreign relations--Germany (East)
- Austria--Foreign relations--Germany (West)
- Austria--Foreign economic relations--Germany (East)
- der-Neisse Line (Germany and Poland)
- Poland--Boundaries
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