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April 27, 1993

The Chancellor's [Helmut Kohl's] Meeting with Czech President Havel on Montag, 26 April 1993

AL 2 Bonn, 27. April 1993

V e r m e r k

Betr.: Gespräch des Herrn Bundeskanzlers mit dem tschechischen Präsidenten Vaclav Havel am Montag, 26. April 1993[1]

Der Bundeskanzler heißt Präsident Havel herzlich willkommen und beglückwünscht ihn zur Verleihung des Theodor-Heuss-Preises. Auf die europäische Entwicklung eingehend erklärt der Bundeskanzler, er habe in der letzten Zeit hierüber ausführlich mit MP Amato, PM Major, MP Gonzales und letzte Woche mit dem neuen französischen MP Balladur gesprochen. Er hoffe, daß Dänemark den Maastrichter Vertrag bald ratifiziere. Die Aussichten hierfür hätten sich verbessert. Auch PM Major sei entschlossen, die Ratifikation in Großbritannien rasch voranzutreiben.

Wenn alle Zwölf ratifizierten, wäre die Lage optimal. Er wolle aber ebenso klar sagen, daß er sich mit seinen Kollegen einig sei, auch mit elf oder nur zehn Mitgliedern weiterzumachen. Der Zug könne nicht gestoppt werden.

1995 würden Österreich, Schweden, Finnland und Norwegen beitreten. Danach wolle er einen Beschluß in der EG herbeiführen, mit dem man sich auf das weitere Vorgehen verständige. Dann käme die Stunde der Wahrheit, in der die Frage beantwortet werden müsse, wer zur Europäischen Union gehöre und wer nicht dazu gehören werde. Deutsche Position sei, daß die Tschechische Republik, die Slowakei, Polen und Ungarn Teil des Ganzen sein müßten.

Die Frage der Zugehörigkeit der baltischen Staaten wolle er noch offen lassen. Man müsse aber klar sehen, daß die GUS-Staaten wie auch Rußland nicht der Europäischen Union angehören könnten. Im Verhältnis zu diesen Staaten brauche man allerdings eine besondere Assoziierung. In diesem Zusammenhang müsse man auch den Fall Türkei klarstellen. Er sei für eine engere Assoziierung der Türkei an die EG. Die Türkei sei aber kein europäisches Land, denn man dürfe Europa nicht nur ökonomisch, sondern müsse es auch kulturell und historisch begreifen.

Ein Beitritt der Tschechischen Republik, der Slowakei, Ungarns und Polens könne nicht gleichzeitig, sondern müsse individuell erfolgen, d.h. abhängig von der Frage, wie weit das jeweilige Land sei.

Er sei sicher, daß die Tschechische Republik und Ungarn die ersten Beitrittskandidaten seien. Mit Polen und der Slowakei werde es nicht so schnell gehen. Wir sollten und könnten nicht wiederholen, was man seinerzeit beim Beitritt Griechenlands und Portugals gemacht habe.

Es sei wichtig, daß man in Prag wisse, daß Deutschland den Beitritt der Tschechischen Republik so schnell wie möglich wünsche. Wir wollten auch einen baldigen Beitritt Polens, denn die Oder-Neiße-Grenze dürfe nicht die Grenze zwischen Polen und der EG bleiben. Andernfalls würden alle alten Probleme wieder auftauchen. Schon jetzt sei die Lage in Westpolen besser als in Ostpolen, und es gehe das Wort von der "Germanisierung" um. Wir müßten daher alles tun - auch gegen die Unvernunft im eigenen Lande -diesen Prozeß der Annäherung an die EG geschickt vorzubereiten.

Er schlage vor, daß sich die zuständigen Mitarbeiter zusammensetzten und überlegten, was man tun könne, um über die Frage der humanitären Hilfe für alte Leute zu beraten. Nach den Gesprächen zwischen den Mitarbeitern werde er darüber entscheiden. Er habe nichts dagegen, wenn der Präsident dies auch auf der Pressekonferenz bekanntgebe, ohne zu weiteren Details Stellung zu nehmen.

Mit Blick auf die Sudetendeutschen halte er es ferner für psychologisch wichtig, wenn die Gesprächsfähigkeit aufrechterhalten und die bestehende Wand abgebaut würden. Dies sei auch ein wichtiger Punkt in der Entschließung des Deutschen Bundestags zum deutsch-tschechoslowakischen Vertrag gewesen. Möglicherweise habe der Präsident eine Idee, was man hier tun könne.

Botschafter Grusa wirft ein, am Samstag habe ein erstes offizielles Gespräch zwischen Herrn Neubauer und dem Berater von MP Klaus, Dolezal, stattgefunden.

Präsident Havel erklärt, er wolle sich zunächst für den Empfang durch den Herrn Bundeskanzler bedanken und auf einige der angeschnittenen Fragen reagieren.

Was die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft angehe, halte er die Konzeption des Bundeskanzlers für sehr realistisch. Sie stimme mit seinen Vorstellungen überein. Die tschechische Seite wisse, daß man Zeit brauche und daß sie sich vorbereiten müsse.

Was die Frage der humanitären Hilfe angehe, wolle er vor der Presse erklären, daß man sich einig sei, daß Deutschland eine Geste guten Willens machen wolle und bereit sei, Einrichtungen humanitären Charakters in der Tschechischen Republik zu errichten.

Der Bundeskanzler wirft ein, besser sei es, davon zu sprechen, daß die deutsche Seite bereit sei, bei der Errichtung zu helfen, zumal dies de facto das gleiche bedeute.

Präsident Havel erklärt sich einverstanden und fährt fort, die tschechischen Journalisten würden ihn mit Sicherheit fragen, wie es mit der Entschädigung stehe. Insofern sei es wichtig, eine Formulierung zu finden, die beide Seiten mittragen könnten. Er werde daher von einer Geste des guten Willens sprechen, die auf die Verbesserung der Beziehungen und Aussöhnung gerichtet sei, um einer Beantwortung der Frage nach Entschädigung aus dem Wege zu gehen.

Der Bundeskanzler erklärt sich einverstanden.

Präsident Havel fährt fort, was die Sudetendeutschen angehe, werde er erklären, daß die tschechische Seite zu einem Dialog bereit sei, der die Atmosphäre reinige und der gegenseitigen Aussöhnung diene. Er werde die Initiative ergreifen und Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses des tschechischen Parlaments auffordern, diesen Dialog aufzunehmen.

Der Bundeskanzler erklärt sich einverstanden.

Präsident Havel fährt fort, die Tschechische Republik habe den Willen, einen Übernahmevertrag abzuschließen. Dies könne sie aber nicht, bevor nicht gewisse Bedingungen erfüllt seien. Hier könne der Bundeskanzler behilflich sein. Es gehe vor allem um das Grenzregime mit der Slowakei, dessen Regelung von MP Meciar abhänge.

Er wäre dankbar, wenn der Bundeskanzler Meciar vertraulich ein Signal schicke und deutlich mache, daß normale Grenzverhältnisse zwischen der Tschechischen Republik und der Slowakei erforderlich seien sowie die Erwartung zum Ausdruck bringe, daß Meciar sich dieser Normalisierung nicht widersetze. Wenn die tschechische Seite dies Meciar sage, bringe dies nichts.

Der Bundeskanzler erklärt, es wäre sehr nützlich, wenn ihm Präsident Havel mitteile, was in diesem Zusammenhang für die tschechische Seite die wichtigsten Punkte seien. Dann werde er Meciar einen Brief durch einen Beauftragten schicken, um zu unterstreichen, wie wichtig die Angelegenheit für ihn sei.

Präsident Havel erklärt, es genüge in dem Brief der Hinweis, daß die Tschechische Republik und die Slowakei einen Grenzvertrag abschließen sollten, der normale Verhältnisse an der Grenze herstelle. Das Problem Meciars bestehe darin, daß er seinen Bürgern das Paradies auf Erden versprochen habe und jetzt versuche, alle Schwierigkeiten auf die Tschechen zu schieben. Ferner unterstelle Meciar, daß die tschechische Seite eine Art Eisernen Vorhang errichten wolle. Demgegenüber liege ein Grenzregime im Interesse beider Seiten. Wenn man dieses Regime auch materiell unterstützen könne, wäre dies hilfreich. Wenn sich die tschechische Seite mit den Slowaken geeinigt habe, könne man mit den anderen Nachbarn - auch mit Deutschland - Rückübernahme-Verträge schließen.

Der Bundeskanzler schlägt vor, dies auch gegenüber der Presse deutlich zu machen.

Präsident Havel erklärt, er wolle vor der Presse sagen, daß er dem Bundeskanzler die Gründe für die Verzögerung des Abschlusses eines Rücknahmeabkommens erläutert habe.

Der Bundeskanzler schlägt vor, ergänzend darauf hinzuweisen, daß man sich überlege, was man tun könne, um das Problem rasch zu lösen.

Präsident Havel erklärt sich einverstanden und fährt fort, in der Tschechischen Republik mache sich, wie auch in anderen Ländern Europas, eine gewisse Nervosität breit, weil man sich in einer Art Sicherheitsvakuum wähne. Es wäre daher gut, wenn es auch zu einer Annäherung an die NATO käme, beispielsweise in Form einer Art Assoziierung. Dies würde zur Stabilität in Europa beitragen und auch der NATO selbst zugute kommen. Die Bürger in der Tschechischen Republik seien besorgt darüber, daß die NATO in dieser Frage so zurückhaltend sei, obschon man gemeinsame Werte teile.

Auch im Hinblick auf die Entwicklung im Baltikum und der ehemaligen Sowjetunion liege es im Interesse der NATO, wenn sie ihre Einflußsphäre auf Mitteleuropa erweitere. Es gebe zwar den NATO-Kooperationsrat, aber der tschechischen Seite gehe es um mehr, nämlich um eine festere Bindung des Bündnisses gegenüber Mitteleuropa.

Der Bundeskanzler antwortet hierauf mit einem Exkurs über die Entwicklung in Europa seit der deutschen Einigung und erklärt zusammenfassend, daß man in der Tat auch diese Frage im Auge behalten müsse.

Präsident Havel bittet abschließend den Bundeskanzler um Unterstützung der Bewerbung der Tschechischen Republik um Aufnahme als nichtständiges Mitglied in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Des weiteren weist er unter Hinweis auf ein Gespräch mit Unternehmern in Hamburg darauf hin, daß es wichtig wäre, wenn die Bundesregierung der Reinhaltung und Schiffbarkeit der Elbe größere Aufmerksamkeit widmen würde. Die Elbe sei eine wichtige europäische Verkehrsader.

Der Bundeskanzler weist auf die enormen Kosten hin, die die Reinhaltung des Rheins erfordert habe. Dies müsse man auch bei der Elbe erreichen.

(Dr. Hartmann)

 

 

[1] BArch, B 136/59731, 257-261.

Head of Department 2                                                                                                                   Bonn, 27 April 1993

M e m o r a n d u m

Subject: The Chancellor's Meeting with Czech President Havel on Montag, 26 April 1993[1]

The Chancellor cordially greets the President and congratulates him on the award of the Theodor-Heuss-Prize. With regards to European developments, the Chancellor says that had had discussed things most recently with Prime Minister Amato, Prime Minister Major, Prime Minister Gonzales and last week with the new French Prime Minister Balladur. His hope was that Denmark would ratify the Maastricht Treaty in due time. The prospects had recently improved. Prime Minister Major was also determined to push forward ratification Great Britain as fast as possible. The situation would be ideal if all Twelve ratified it. At the same time, he wanted to say very clearly that he and his colleagues were united in their determination to continue at 10 or 11 if need be. The train could not be stopped.

In 1995, Austria, Sweden, Finland and Norway would all join in. Thereafter, he wanted to push for the adoption of a decision on the further procedure in the EC. This was the hour of truth and one had to give a response to the question who was a member of Europe and who not. The German position was that the Czech Republic, Slovakia, Poland and Hungary had to be part in all of this.

With regards to the accession of the Baltic states, one ought to leave this question open. But one had to acknowledge that the CIS states and Russia could not be members of the European Union. At the same time, one needed a special association in the relationship with these countries. In this context, one also had to clarify the case of Turkey. He was in favor of closer associations between the EC and Turkey. But Turkey was not a European country. After all, one must not just envisage Europe in terms of economics but had to take into account history as well.

The accessions of the Czech Republic, Slovakia, Hungary and Poland could not happen at the same time, but had to be pursued individually depending on the progress of the countries. He was certain that the Czech Republic and Hungary were the first two candidates for accession. Poland and Slovakia would not be equally fast. We must not repeat the experience of Greece’s and Portugal’s accession back at the time.  

It was important for policymakers in Prague to know that Germany wanted the accession of the Czech Republic as soon as possible. We also desired Poland’s fast accession as the Oder-Neiße-frontier must not remain the border between Poland and the EC. Otherwise, the old problems would emerge again. Currently, West Poland was already in a better position compared to Eastern Poland, and the word of Poland’s "Germanization" was spreading. Hence, we had to do everything in order to facilitate Poland’s rapprochement with the EC in a skillful way.

His suggestion was to arrange meetings between one’s staffers in an effort to come up with new idea for the support of elderly people. He would be taking a decision after these talks. He did not have a problem if the President wanted to mention this at the press conference without going into the details. With regards to the Sudeten Germans, he thought it was psychologically important to maintain the dialogue in order to reduce the barriers. This had also been a pivotal point in the Bundestag declaration on the German-Czech Treaty. Perhaps the President might have some new ideas on potential initiatives in this field.

Ambassador Grusa inserts that there had been an first official meeting between Mister Neubauer the Prime Minister Klaus‘ adviser, Dolezal.

President Havel says that, first of all, he would to express his thanks for the invitation and wanted to respond to some of the questions that the Chancellor had already raised. With regards to the development of the European Community, he thought that the Chancellor’s position was very realistic. It also matched his ideas. The Czech side knew that one needed time and one had to prepare. In terms of the humanitarian assistance issue, he wanted to give a statement before the press saying that one had achieved consensus that Germany wanted to show a gesture of goodwill and was ready to establish humanitarian facilities in the Czech Republic.

The Chancellor inserts that it would be better to say that the German side was willing to provide assistance in the establishment of these facilities especially as this had the same meaning.

President Havel agrees and says that the Czech journalists would certainly query about compensation. Thus, it was important to find language that both sides could endorse. Thus, he would refer to a gesture of goodwill which was aimed at the improvement of bilateral relations and mutual reconciliation as well in order to avoid a direct response to the question of compensation.

The Chancellor agrees.

President Havel continues and says that in terms of the Sudeten Germans, he would explain that the Czech side was ready for dialogue aimed at improving the atmosphere and at facilitating reconciliation. He would take the initiative asking members of the Czech parliament’s foreign relations committee to launch this dialogue.

The Chancellor affirms.

President Havel continues that the Czech Republic was ready for the conclusion of a transitory agreement. However, they would not be able to do this before certain conditions had not been met. The Chancellor could be helpful in this regard. This was especially about the control regime at the frontier with Slovakia. This was depending on Prime Minister Meciar’s consent. He would be very grateful if the Chancellor could send Meciar a confidential signal emphasizing the necessity to have normal conditions at the border between the Czech Republic and Slovakia. The Chancellor ought to reiterate his expectation that Meciar would not be opposed to this. It did not help if the Czech side told Meciar.

The Chancellor says it would be highly useful if President Havel could let him know about the pivotal points from the Czech perspective. He would then send Meciar a letter sending out an emissary in order to emphasize the relevance of this matter.

President Havel says it was sufficient for the letter to point out to the necessity of a border treaty establishing normal conditions at the frontier between the Czech Republic and Slovakia. Meciar’s problem was that he had promised his citizens the paradise on earth. Now, he was trying to blame the Czechs for all the difficulties. Moreover, Meciar was spreading the rumor that the Czech side was trying to erect some new kind of Iron Curtain. In contrast, a normal border regime was n the interest of both sides. It would be very important if one could also support this regime materially. Once the Czech sides and the Slovaks had established consensus, one could also conclude readmission agreement with the other neighbors including Germany.

The Chancellor suggests that one should also emphasize this before the press.

President Havel says he wanted to tell the Press that he had outlined the reasons for the delays in the conclusion of the readmission agreement.

The Chancellor suggests that one could also mention that one was contemplating initiatives for a rash solution of the problem.

President Havel agrees and says that the people in the Czech Republic and elsewhere in Central and Eastern Europe were increasingly getting nervous as there was some sort of a security vacuum. Hence, it would also be good if there was a rapprochement with NATO, for instance along the lines of association. This would add to Europe’s stability and NATO itself would benefit as well. The citizens of the Czech Republic were concerned about NATO’s hesitation in this regards, especially as one shared the same values. Moreover, the extension of NATO’s sphere of influence in Central Europe was important against the backdrop of the developments in the Baltic states and in the former Soviet Union. Albeit there was the North Atlantic Cooperation Council, the Czech side wanted to establish stronger ties between NATO and Central Europe.

The Chancellor replies with an excursus on the development in Europe in the aftermath of Germany’s unification. In conclusion, he said that one had to keep this question in mind.

President Havel finally asks the Chancellor for his support for the Czech Republic’s application for a non-permanent seat on the UN Security Council. Moreover, referring to a meeting he had with entrepreneurs in Hamburg, he said it was important for the federal German government to devote more attention to the cleanliness and navigability of the Elbe River which was an important European traffic artery.

The Chancellor points to the enormous costs which the cleanliness of the Rhine River had demanded. One had to reach this in terms of the Elbe as well.

(Dr. Hartmann)

 

[1] BArch, B 136/59731, 257-261.

Kohl and Havel talk about the Czech desire to join NATO. Havel emphasizes his concern about the security vaccum in Central and Eastern Europe. He argues in favor of Czech association with NATO as a way to enhance security and stability in Europe. Havel also expresses concern about NATO's reluctance to consider this. Kohl gives an evasive response.


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BArch, B 136/59731, 257-261. Contributed, transcribed, and translated by Stephan Kieninger.

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Original Uploaded Date

2023-09-26

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300209