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June 9, 1992

Telegram from Germany’s Permanent Representative at the United Nations to the Foreign Office, No. 264 and 265, 'The Chancellor Meeting with the American Jewish Committee on 8 June 1992 in New York'

Fernschreiben deutsche UN-Vertretung an Auswärtiges Amt Nr. 264 und 265 vom 9. Juni 1992

Betr.: Gespräch des Bundeskanzlers mit dem American Jewish Committee am 8. Juni 1992 in New York[1]

Bundeskanzler Dr. Kohl traf am 8. Juni im Rahmen seines Zwischenaufenthalts in New York (6.-9.6) vereinbarungsgemäß mit führenden Vertretern des AJC zu einem Gedankenaustausch über aktuelle Fragen jüdischen Interesses zusammen. Die Begegnung, die an die Stelle der ursprünglich beabsichtigt gewesenen, auf einen späteren Zeitpunkt vertagten Vortrags- und Diskussionsveranstaltung im größeren Kreis getreten war, setzte den bestehenden Dialog mit dem AJC auf Kanzlerebene fort. An ihm nahmen deutscherseits Sts Vogel, Botschafter Ruhfus, VLR I Dr. Ueberschaer, der Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung Pordzig und der Unterzeichnende teil.

Die im zwanglosen Rahmen und mit erklärter Offenheit geführter Unterhaltung von 1 ¾ Stunden verlief in betont freundschaftlicher Atmosphäre und war auch seitens der Gäste von dem ausdrücklichen Willen getragen, zu einem besseren deutsch-jüdischen Verständnis beizutragen, bestehende Barrieren zu überwinden und in diesem Sinne Brücken in die Zukunft zu bauen.

Nach einführenden Worten des Bundeskanzlers eröffnete AJC-Präsident Alfred Moses das Gespräch mit dem Vorschlag, Anfang nächsten Jahres (auf jeden Fall vor der

Eröffnung des Holocaust-Museums in Washington und dem Jahrestag des Warschauer Ghetto-Aufstandes im April) eine internationale „Konferenz“ über die von jüdischer Seite mit großer Besorgnis verfolgte Entwicklung der nationalistischen, ethnischen und religiösen Konflikte in Zentral-, Ost- und Südosteuropa und die diesbezüglichen Möglichkeiten der Gefahrenabwehr abzuhalten.

Der BK begrüßte diese neue Konferenzidee (gemeint war wohl eher ein Seminar) und sicherte ihr seine und die Unterstützung der Konrad-Adenauer-Stiftung zu. der Bundeskanzler erläuterte die unvorhergesehenen, fundamentalen Veränderungen in Europa, die ihn für die Zukunft ins insgesamt optimistisch stimmten, jedoch überkommene Nationalismen freigesetzt hätten, auf die die deutsche alternativlose Antwort europäische Integration lautete. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die beispielhaften Beschlüsse des Europarats zum Minderheitenstatus, die als Standard für Europa auch außerhalb des Europarats Geltung erlangen müßten. Die Regelung der Minderheitenfrage sei auch von existenzieller Voraussetzung für die politische Union, die wir Deutschen in unserer geopolitischen Lage und mit unserer Vergangenheitsbelastung mehr als andere angewiesen seien.

BK unterstrich generellen Wunsch nach guten deutsch-jüdischen Beziehungen, insbesondere auch zu Israel. Er kündigte an, dass sich das Bundeskabinett noch vor der Sommerpause mit einer Gesetzesvorlage zur Einführung nationaler Anti-Boykott-Regelungen bezüglich Israels befassen werde. Diese Mitteilung wurde von seinen jüdischen Gesprächspartnern mit besonderer Erleichterung aufgenommen und mit der Hoffnung verbunden, dass auch andere EG-Mitglieder unter dem Einfluss der Bundesrepublik diesem Beispiel der Bundesrepublik folgen mögen.

Hinsichtlich der laufenden Verhandlungen der Claims-Conference mit dem BMF bat Präsident Moses den Bundeskanzler dringend um Intervention zugunsten von mehr deutscher Flexibilität, sodass die verbliebenen "nur noch geringen Differenzen" überwunden und das Thema heute (9.6.) erfolgreich abgeschlossen werden könne. BK versprach, "sich darum zu kümmern".

Als letzten jüdischen Wunsch bezeichnete Präsident Moses die Frage der Kreditgarantien für Israel, in der sich US-Regierung auf die deutsche Haltung beziehe. BK verwies auf Einverständnis mit der israelischen Regierung, die Fortsetzung diesbezüglicher Gespräche bis nach den dortigen Wahlen zu verschieben und bestritt insoweit jede Absprache mit der amerikanischen Regierung, „mit der man reden könne“.

In weiteren Ausführungen bezeichnet BK die

Friedlosigkeit des Nahen Ostens als Skandal der drei Weltreligionen, die dort ihre Wiege hätten. Die Situation habe auch Auswirkung auf die EG. Israel werde langfristig nicht ohne Assoziierung mit der EG auskommen, gleichzeitig müsse sich Europa aber auch mit den Arabern arrangieren, was für einzelne EG-Mitglieder aus geographischen Gründen von unterschiedlicher Priorität sei. Wir Deutschen seien aus unserer Geschichte heraus dabei in besonders schwieriger Lage.

BK verwies bei grundsätzlicher Hilfsbereitschaft gegenüber Israel auf die Grenzen unserer finanziellen Belastbarkeit, nahm Bezug auf die unterschiedliche amerikanische Haltung nach den beiden Weltkriegen, würdigte den Marshallplan und unterstrich das dringende eigene Interesse der USA an der Kontrolle der Entwicklungen in Osteuropa. In der Frage der Israel-Kredite sei es für uns wichtig, dem Volke klarmachen zu können, daß dieses Geld für den Frieden verwendet werde.

Von Mr. Harris wurde BK ferner auf die Entwicklung des Extremismus im Gefolge der Vereinigung Deutschlands angesprochen und um seine Lagebeurteilung gebeten. Bundeskanzler unterstrich Notwendigkeit, sorgfältig zu unterscheiden, was als Extremismus zu bezeichnen sei. Dies variiere von Land zu Land. Es gebe eine krisenhafte psychologische Entwicklung in allen westlichen Demokratien. Die Menschen würden von den immer schwerer zu übersehenden Problemen überfordert. Der Preis zunehmender Säkularisierung sei der Verlust des Glaubens und ein mehr an Angst, auf die Menschen unterschiedlich reagierten und die sich unter den Einfluss der Massenmedien zuweilen bis zur Massenhysterie steigere. Dies gelte zur Zeit in Deutschland für den ungezügelten Zustrom von Fremden, der auf einer falschen Politik beruhe und der dringenden Abhilfe bedürfe, für die die innenpolitischen Voraussetzungen inzwischen mit großer Verspätung zu erwarten seien. Er, BK, glaube nicht an eine generelle Zunahme des Radikalismus, insbesondere könne er ihn nicht bei der Jugend erkennen. Wenn es uns gelänge, die anstehenden Sachfragen zu lösen, habe dieser keine Chance. Auch sei nicht schon Neo-Nazi, wer die Republikaner wähle. Diese würden 1994 keine 5 Prozent erreichen.

Ein weiterer jüdischer Gesprächsbeitrag betraf den Vorschlag eines Marshallplans für den Nahen Osten. BK bezeichnete Idee als gut, aber nicht neu, sie sei bereits vor ca. 5 Jahren am Ende der Reagan-Regierung von Außenminister Shultz ins Gespräch gebracht worden. In der Tat wäre es besser, die EG handle als Ganzes. Voraussetzung für Wirtschaftshilfe sei jedoch, ein befriedigender Fortschritt des politischen Friedensprozesses, denn die Frage, was z.B. mit dem Geld in den besetzten Gebieten geschehe, beschäftige die deutsche Öffentlichkeit.

Als weiteres Thema wurde beiderseits die Notwendigkeit der Förderung der deutsch-jüdischen Verständigung durch Jugendaustausch angesprochen. Nach dem BK ist dies umso wichtiger, als der sich inzwischen vollziehende Generationswechsel die Kontinuität der auf eigenen Erfahrungen beruhenden Kenntnis des jeweils anderen Partners in Frage stelle. So werde diese bedauerliche Entwicklung z.B. durch die absurde gegenseitige Nichtanerkennung der jeweiligen Universitätsabschlüsse noch gefördert. Der Bundeskanzler unterstrich in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit der Fortsetzung der deutsch-amerikanischen engen Partnerschaft sowie substanzieller militärischer US-Präsenz in Europa, dessen politischer Zusammenschluss vom dänischen Referendum nicht gestoppt werde. Er setzte sich für den Ausbau der transatlantischen Brücke durch zusätzliche "Fahrbahnen" im wirtschaftlichen, kulturellem und wissenschaftlichem Bereich ein und erläuterte auch Ziel und Struktur des deutsch-französischen Korps im Verhältnis zur NATO.

Schließlich sprach der Bundeskanzler von seiner Sorge, dass im deutsch-jüdischen Verhältnis mehr in dem so wichtigen schulischen Bereich geschehen müsse. Dies gelte

vor allem für die Präsentation des Holocaust-Themas. Es gehe nicht nur darum, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten, sondern um die korrekte Darstellung Geschichte, wobei das Bild des gewandelten Deutschlands 50 Jahre danach der Jugend nicht vorenthalten werden dürfe.

Botschafter Schifter vom AJC meinte hierzu, daß sich die Deutschen insoweit mehr Sorgen als nötig machten. Das Holocaust-Museum habe eine begrenzte Geschichtsperiode zum Inhalt, die Sorge vor negativen Auswirkungen auf das deutsch-jüdische Verhältnis sei nicht begründet, da in der Einschätzung Deutschlands der allgemeine Mehrheitskonsens auf den letzten 45 Jahren beruhte. Die deutschen Bedenken veranlassten die jüdischen Teilnehmer zur Betonung der fortgesetzten Notwendigkeit des Dialogs, gerade auch in der Museumsfrage, was der BK ausdrücklich begrüßte.

Der Gedankenaustausch wurde von beiden Seiten als wertvoll und wichtig empfunden und von den jüdischen Gästen dankbar anerkannt. Ohne in Einzelfragen tiefer einzudringen gab er Gelegenheit, auf jüdische Wünsche und Besorgnisse in zwanglosem Gespräch und unter Darlegung persönlicher Überzeugungen und mancher Hintergrundinformation einzugehen, was seine Wirkung offensichtlich nicht verfehlt und zum besseren gegenseitigen Verständnis beigetragen hat.

Holtermann

 

[1] BArch, B 136/59730, 243-246.

Telegram from Germany’s Permanent Representative at the United Nations to the Foreign Office, No. 264 and 265, 9 June 1992

Subject: The Chancellor Meeting with the American Jewish Committee on 8 June 1992 in New York[1]

 

On June 9, Chancellor Dr. Kohl met with representatives from the American Jewish Committee during his layover in New York (6-9 June) for an exchange of thoughts on current questions of Jewish interest. The meeting was part of the dialogue between the Chancellor and ACJ and occurred in place of the larger lecture and discussion event that had initially been planned and was now postponed for a later date. On the German side, the participants included Undersecretary of State Vogel, Ambassador Ruhfus, VLR I Dr. Ueberschaer, the representative of the Konrad-Adenauer-Foundation, Pordzig, and the signee.

The meeting took place in a casual and open atmosphere, lasting for an hour and 45 minutes. The guests also showed a willingness to contribute to an improved German-Jewish understanding, to overcome existing barriers, and, in this sense, to build bridges for the future.

After introductory words from the Chancellor, AJC-President Alfred Moses opened the conversation with the proposal for the convocation of an international “conference” at the beginning of next year (definitely prior to the opening of the Holocaust Museum in Washington and the anniversary of the Warsaw Ghetto Uprising in April) on the emergence of nationalist, ethnic, and religious conflicts in Central, Eastern, and Southern Europe, which the Jewish side viewed with great concern.

The Chancellor welcomed the conference idea (the intention was probably more so a seminar) and pledged his support and the assistance of the Konrad-Adenauer-Foundation. The Chancellor then discussed the unforeseen, fundamental changes in Europe, which triggered his optimism for the future but had released traditional forms of nationalism – the German response to which was European integration. In this context, he referred to the exemplary decision of the Council of Europe on the status of minorities, which must become a standard solution for Europe beyond the scope of the Council of Europe. The resolution of minority question was an essential precondition for the emergence of the political union, which we Germans needed more than anyone else due to our geopolitical position and strained history.

The Chancellor underscored the basic desire for good German-Jewish relations, especially regarding Israel. He announced that the federal cabinet would look into the introduction of anti-boycott regulations towards Israel before the start of the summer recess. His Jewish interlocutors welcomed this message with particular relief and with the hope that other EC members would follow suit under the Federal Republic’s influence.

Surrounding the current negotiations on the Claims-Conference with the Ministry of Finance, President Moses urgently asked the Chancellor for an intervention in favor of more German flexibility so that the remaining, “only minor differences” could be overcome, and the issue could be successfully concluded today (June 9). The Chancellor pledged "to take care of this.”

President Moses then referred to the question of credit guarantees for Israel as the last Jewish request, as the U.S. government took Germany’s position as a reference. The Chancellor pointed that there was consensus with Israel concerning the postponement of the continuation of these talks until after the Israeli elections. Thus, the Chancellor denied that there was any kind of agreement with the U.S. government "about which they could talk.”

In his further remarks, the Chancellor called the lack of peace in the Near East a scandal of the three monotheist world religions, which all had their origins in the region. The situation also affected the EC. In the long run, Israel could not do without association with the EC. At the same time, Europe also had to arrange itself with the Arabs which, for geographical reasons, was of divergent priority among the EC member states. Due to our history, we Germans were in an especially precarious position.

The Chancellor said that we were essentially ready to provide assistance for Israel but pointed to the limits of financial capabilities. He referred to the different American approaches after both World Wars, appreciated the Marshall-Plan, and underscored the urgent U.S. interest to control developments in Eastern Europe. Regarding the credit question for Israel, it was important to make it clear to the German population that the money would be spend on peace.

Mr. Harris asked the Chancellor about the emergence of extremism in the aftermath of Germany’s unification. Mr. Harris was interested in the Chancellor’s assessment of the situation. The Chancellor underscored the necessity to carefully distinguish what one labelled as extremism. The definition varied between different countries. There was some sort of a critical psychological development in all Western democracies. People were overwhelmed by increasingly complicated problems. The price of increasing secularization was the loss of faith and an increase of fear, which caused diverging reactions and, under the influence of mass media, sometimes mass hysteria. Currently, this applied to the rampant influx of foreigners in Germany, which was based on incorrect policies and should be stopped. Meanwhile, we had established the domestic precondition to do this with great delay. He, the Chancellor, did not believe in an increase of general radicalism, and he could especially not detect it among the younger generation. If we were able to resolve the imminent factual questions, there was no chance for radicalism. Those who voted republican were not necessarily Neo-Nazis. In 1994, they would not reach 5% in the elections.

Another Jewish contribution to the discussion pertained to the suggestion for a Marshall Plan for the Near East. The Chancellor thought the idea was good, but not new. Former Secretary of State Shultz had already proposed it about 5 years ago at the end of the Reagan administration. Indeed, it would be better for the EC to act as a whole. Further steps in the political peace process were a precondition for economic assistance. After all, the German public was interested in the use of the fund in the occupied areas, for instance.

A further issue related to the necessity for funds in favor of German-Jewish youth exchanges as a way of reconciliation. The Chancellor thought that this was even more important as generational change was a threat for the continuity of personal experiences as a means of understanding the other side. This regrettable development was further triggered through the mutual non-recognition of university diplomas. In this regard, the Chancellor emphasized the necessity for the continuation of the German-American partnership, as well as the need for a substantial U.S. military presence in Europe. Europe’s integration would not be stopped by the Danish referendum. He was committed to defend the extension of the transatlantic bridge through additional "lanes," including those of the economy, culture, and science. Moreover, he explained the purpose and the structure of the Franco-German Corps in relation to NATO.

Finally, the Chancellor expressed his concern that more had to be done for schools, which were especially important for the German-Jewish relationship.

This applied, above all, to the presentation of the Holocaust. This was not just about keeping the memory of the Holocaust alive. It was also about the correct interpretation of history, wherein the Germany’s development during the 50 years after the Holocaust must not be withheld from young people.

Ambassador Schifter from AJC said that the Germans were perhaps overly concerned about this issue. The Holocaust-Museum focused only on a limited period of history. There was no reason to worry about negative effects on German-Jewish relations. Today’s assessment of Germany was based on experiences of the last 45 years. German concerns made it necessary for both sides to continue the dialogue. The Chancellor explicitly welcomed this

Both sides agreed that the exchange of thoughts was valuable and important. The Jewish guests appreciated the chance to have this meeting, which provided an opportunity to expound on Jewish requests and concerns in a casual atmosphere and contribute to enhanced mutual understanding.

(Holtermann)

 

[1] BArch, B 136/59730, 243-246.

Kohl and representatives from the American Jewish Committee talk about the opening of the U.S. Holocaust Memoiral Museum in Washington DC in 1993. The American Jewish Committee asks Kohl for more flexibility in terms of the Jewish claims conference.


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Source

BArch, B 136/59730, 243-246. Contributed, transcribed, and translated by Stephan Kieninger.

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Original Uploaded Date

2023-07-31

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Memorandum of Conversation

Language

Record ID

300177